Gestern hatten wir Freunde aus Prag zu Besuch, eine ganze Familie, die wir schon seit vielen Jahren kennen. Freundin M. hatte mich damals, als sie in Zürich noch ihre kleine, aber wunderschöne Altbauwohnung bewohnte, immer tief beeindruckt mit ihrer eleganten, hellen Einrichtung, mit ihren zauberhaften Zeichnungen und ihrem Sinn für Kunst und Humor, der sich in Form von perfekt gearbeiteten Handarbeiten und kleinen, pointiert eingesetzten Skurrilitäten niederschlug. Man trank Tee aus auserlesenen Tassen. Auf einem weissen Sofa über weissem Flauscheteppich. An den Wänden hingen selbstgemalte Skizzen und Tierstudien, es gab Pflanzen und Kerzen und dann und wann kleine Hingucker wie Tierskelette, Federn (sie war Ornithologin) oder Postkarten mit einem prägnanten Spruch („Hinter jeder Ecke lauern ein paar Richtungen“) ganz zwanglos aber perfekt platziert.
Ich fühlte mich immer pudelwohl bei ihr. Die Mischung aus Struktur, Sauberkeit, einem ansatzweisen Minimalismus und gleichzeitiger Zwanglosigkeit und Luftigkeit gefiel mir schon immer wahnsinnig gut, und wenn ich heute in meinem vollen, pulsierenden Haus eines vermisse, dann ist das die Leere und Unaufgeregtheit, die Ruhe und Leichtigkeit die jene Art von Wohnstil mir vermittelt. Eine Mischung aus Shabby Chic, minimalistischem Wohnen und moderner Eleganz.
Dagegen sind wir die reinsten Bohemiens. Ich ertrinke in Kinderkunst, Sammelsurien, Werkzeugen und Erinnerungsstücken. Von all den Kinderschuhen, verstreuten Socken und einem gigantischen Plüschzoo ganz zu schweigen.
Aber wir geben unser Bestes, dieses Haus einigermassen wohnlich zu gestalten. Die Team-Kompetenzen sind klar und sehr traditionell verteilt: Mein Mann baut um, ich räume aus und ein und gestalte die Zimmer. So geht das seit 10 Jahren schon und so wird es wohl bleiben, denn kaum ist etwas fertig, bröckelt bereits das nächste Leck, ein bisschen überspitzt ausgedrückt. Die meisten Leute, die unser Haus zu sehen bekommen bzw. die Baustellen und vor allem -stolz präsentiert- die fertigen Renovationen und Installationen, klopfen meinem Mann wohlwollend auf die Schulter und gratulieren ihn zu seinem Einsatz, nicht ohne mitfühlend anzumerken; „Also, das hast du aber wirklich ganz schön viel zu tun…“ Vielleicht wird mit einem Blick in meine Richtung auch noch nachgeschoben „Du weisst aber schon, was für einen fleissigen Mann du hast.“
Ich nicke dann jeweils, denn, ja, sie haben recht, der Herr Kirschkernzeit ist ein feiner Kerl, der sich hier die Seele aus dem Leib schuftet und so viel für uns alle tut.
Aber insgeheim denke ich immer; eigentlich tun wir das ja beide, gewissermassen. Wir bauen beide um. Renovieren. Versuchen, die Dinge schön zu machen und Mängel zu beheben. Unser Zuhause ist ein echtes Gemeinschaftswerk, auch wenn ich selber keinen Hammer schwinge oder alte Dielen rausreisse (worüber mein Liebster wohl auch eher froh ist, wie ich ihn kenne).
Mein Part sieht einfach anders aus. Mehr so hintergründlich und alltäglich: Ich halte die Kinder von den Baustellen fern, schaffe alles weg, was ihm im Weg steht, putze Staub und Dreck und Sägemehl, halte die Stellung, während er mit seinen Werkprojekten beschäftigt ist und lebe damit, dass vieles, was das Wohnen betrifft, auf Provisorien aufbaut und sich permanent wieder verändert. Natürlich ist das alles weniger schweisstreibend als der aktive Umbau-Part. Aber auch weitaus weniger befriedigend. Und ganz bestimmt kein Job, bei dem man Lob und grosse „Ah“s und „Oh“s einheimsen könnte.
Darum, das muss ich ganz offen zugeben, habe ich mich gestern über alle Massen gefreut, als unsere Prager Freunde mich gestern bei ihrem Hausbesichtigungs-Rundgang geradezu überschütteten mit herzlich gemeinten Komplimenten zur Einrichtung und Gestaltung dieses Hauses. „Dein Mann arbeitet ganz wunderbar, weisst du. Aber das hier trägt trotzdem auch deine Handschrift.“
Ich war ganz überrumpelt. Und richtig gerührt. Nicht nur, weil Freundin M. das sagte. Sondern einfach auch, weil jemand es bemerkt.
Bei der grossen Dachboden-Sanierung dieses Jahres sieht man allerdings eher wenig von „meiner Handschrift“. Mein Liebster hat den gesamten Boden rausgerupft und neue, stabilere Bodenbretter verlegt (tatsächlich gab es gefährlich versteckt regelrecht morsche Dielenbretter!). Darunter eine dicke Schicht Dämm-Material, die die gröbste Kälte und grösste Hitze vom Wohnbereich abschirmen soll, darüber ein völlig unkomplizierter, robuster Laminat, so dass es keine doofe Ritzen mehr gibt im Boden, wo Spinnen und Teppichkäfer ihre Lager aufschlagen oder Wespen sich verkriechen. Sogar staubsaugen könnte man hier jetzt.
Eigentlich mag ich Laminat ja gar nicht. Ich bin ein eingefleischter Laminat-Feind und nehme lieber Dielenspalten, unebene Böden oder höhere Parkett-Preise in Kauf als mit Laminat leben zu müssen. Aber auf dem Dachboden…? Perfekt. Und dieser Laminat hier ist sogar doppelt perfekt, weil wir ihn absolut kostenlos aus den Resten einer Hausrenovation übernehmen konnten. Dass er nicht wirklich schön aussieht (diese Maserung!) spielt rein gar keine Rolle, finde ich; Er ist stabil, pflegeleicht und Familienbudget-freundlich. Ich meine, was will man mehr?
Glücklich machen mich aber vor allem diese letzten zwei Bilder. Auch wenn sie es ganz bestimmt niemals ins „Schöner Wohnen“ schaffen würden. Obwohl es nach wie vor nach Estrich ausschaut und von Ausbau nicht die Rede sein kann. Aber all unser weggepacktes Hab und Gut, die Kinderkleider im Wechselturnus, Skisachen, Zelt, Schlafsäcke, Schaukeltiere und alten Spiegel: alles sauber aussortiert, gereinigt, frisch verpackt und klar beschriftet.
So mag ich es.
Genau so.
Natürlich könnte es gut und gerne noch ein wenig… weniger Zeug sein hier oben, aber, ja, ich bin sehr, sehr dankbar für diese neue Ordnung. Für die Arbeit meines Liebsten, für seinen Einsatz und seinen Durchhaltewillen, ohne den dieses Haus niemals das wäre, was es heute ist.
Und ein klitzekleines bisschen beklopfe ich auch meine eigene Schulter. Wegen dem ganzen Kistengepacke, dem Geputze und Gewasche, vor allem der weggerümpelten Dinge wegen, die ich immer so schwer loslassen kann. Wegen dem Berg an Kram einfach, der hier bezwungen wurde. Von uns beiden. Irgendwie.
Hach, das tut einfach gut…