Ein wunderbar verschlafener Sonntag. Ein Vicoria Clayton-Herbsttag, wobei ich doch auch zugeben muss, dass mich „Fortunas Garten“ mit seinem Rosamunde Pilcher-Ende ein bisschen enttäuscht hat. Die letzten 100 Seiten wurden ziemlich wirr und wild, die Figuren, die ich im Laufe des Buches so sehr ins Herz geschlossen hatte, trafen unglaubwürdige Entscheidungen und brachten sehr sonderbare Irrungen und Wirrungen des Lebens ans Licht… Und dann diese harzige Liebensgeschichte zum Schluss. Wie aufgedrückt. Ein Jammer. Aber ich bin ein treuer Mensch und lasse Liebgewonnenes nicht so schnell wieder los: Der nächste Clayton-Roman ist bereits auf der Post und unterwegs zu mir, und ich freue mich unverdrossen darauf.
Überhaupt… der Herbst und ich, das ist eine ganz grosse Liebe. In diesem Jahr war sie sonderbarerweise sehr viel weniger feurig und ergreifend als in anderen Jahren, es fiel mir schwer -zu schwer- den Sommer loszulassen, was ganz ungewöhnlich ist für mich und mich selber ziemlich verwirrt hat, aber irgendwie verstehe ich es auch: Dieses Jahr war ein Jahr der Extreme für mich, gesundheitlich, innerlich, emotional, und auch für mich als Mutter, denn ich musste damit zurechtkommen, das Kuscheligste und Anhänglichste meiner Kinder plötzlich Morgen für Morgen zum Kindergarten ziehen zu lassen und mein jüngstes Mädchen –mein Baby!- mit zweieinhalb Jahren abzustillen.
Erste Male und letzte Male.
Solche Sachen machen mir immer zu schaffen.
Mit bald 40 scheint plötzlich so vieles in Frage gestellt. War das schon alles? Sind 5 genug? Was ist noch möglich, wie viel dürfen mich Träume noch kosten und wer ist bereit dafür zu zahlen?… Die Endlichkeit allen Lebens wird mir immer bewusster und dieses zeitweise fast schon körperlich spürbare Wissen dämpft viel zu oft meine Begeisterung und meinen Elan. Gleichzeitig merke ich, dass ich ruhiger geworden bin. Zufriedener. Weniger getrieben und jedem Trend hinterherhechelnd. Aber auch rauer und selbstbestimmter. Ich stehe, wo ich bin, schwanke vielleicht, aber da sind Wurzeln gewachsen, ganz ohne dass ich es gewollt hätte.
In gewisser Weise sind auch das so etwas wie… Herbstgefühle. All das Windige, Bewegte und trotzem Knorrig-Verwachsene.
Irgendwie scheint es ganz passend, dass ich im Moment immer wieder zu meiner „Annabel Cardigan“ greife, meiner dicken, ein bisschen kauzigen Wolljacke aus lokal handgesponnener Wolle, um mich mollig warm einzumummeln und mir braun und bodenständig einen extradicken Pelz zuzulegen…
Fertig geworden ist sie schon lange. Bald ein Jahr schon müsste das wohl her sein, denke ich. Aber da waren die etwas zu kurzen Ärmel und der ein Mü zu knappe Schnitt, der daher rührt, dass mir schlichtweg die Wolle ausging und mir die alte Spinnerin zu meinem Schrecken erklärte, sie könne keinen Nachschub mehr herstellen. Ich haderte mit der jetzigen Form. Dicke Wolle und kurze Ärmel? Das passt nicht so recht. Schon gar nicht zu meiner Wunsch-Vorstellung von meiner „Annabel“, die ich damals voller Zuversicht begonnen und mich allen Zweifeln und Hindernissen tapfer in den Weg gestellt hatte. „Muss die so kurz sein?“ fragte auch meine Mutter.
Doch jetzt, knapp ein Jahr später ist es mir einerlei, wie diese Wolljacke hätte sein sollen. Sie wärmt und schmeichelt meinem Tastsinn mit einer wunderbar natürlichen und runden Griffigkeit. Ob zu kurz oder nicht; Jede handgemachte Strickjacke, jede „Annabel“ ist einzigartig. Auch meine. Wolle und ein Bauplan- was schlussendlich daraus wird, ist immer wieder eine kleine Offenbarung und ein Grund, stolz, dankbar und demütig zu sein, denn es hätte auch ganz anders kommen können.
Dieser Gedanke ist tröstlich und gross. Und er spricht zu mir. Denn auch das Leben ist einzigartig, jedes Leben, und jeder Mensch, der im Laufe seiner Jahre zu dem geformt wird, was er ist. Mit Ecken und Kanten und ganz bestimmt auch mit einigen besonders schön geschliffenen Rundungen, in seiner ganzen Endlichkeit und Beschränkung.
Meine Annabel ist so wie sie ist, vielleicht nicht ganz „richtig“… aber auch nicht wirklich falsch. Es kommt immer darauf an, in welchen Zusammenhang ich sie stelle, wie sie kombiniert, aus welchem Blickwinkel sie betrachtet wird. Ich habe mich für einen nachsichtigen Blick aus der extra wohlwollenden Warte entschieden…