under construction
Da wäre einmal dieses Langzeit-Projekt, dick und gestrickt und mit breiten Streifen in mattem Lila, Violett, Beige, Braun und so was wie Fliederweiss. Ich stricke daran, seit die letzte Ziffer unsere Jahreszahl zur 3 gewechselt hat- oder vielleicht sogar schon länger- und geniesse es, zu sehen, wie die Reihen sich langsam, langsam über meinen Schoss ausdehnen, während ich arbeite, mir die Beine wärmen und herrliche Bilder in mir wacht ruft, von einem schlafenden Baby, warm und mollig eingepackt, die Lider zucken leicht im Schlaf, und die kleine Hand hält einen lila-braun-weiss-gestreiften Zipfel…
Aber auch sonst ist hier gerade vieles am Werden. Under Construction. Ein neu begonnenes Strickprojekt für mein Baby. Braun und einfach. Hoffe ich. Und ein kleines Patchwork-Projekt, von dem ich einfach nicht lassen konnte, nachdem eine gewisse (seit einer Woche permanent in Gebrauch stehende) Baby-Schlupf-Hose mir mit ihren satten, frischen Farben ein wenig den Kopf verdreht hat. Der Frühling ist nicht mehr ganz so weit, das spüre ich. Auch draussen in der Natur steht schon so viel neues Grün under construction, baut sich langsam im Verborgenen auf, schöpft Kraft, macht zuversichtlich seine Pläne und wartet geduldig aber wachsam auf den richtigen Moment…
Genauso fühle ich mich auch. Ich sammle Ideen und pinne mein Inspirations-Board so voll wie es nur geht, mit überlappenden Schichten und kleine, liebgewonnenen Schätzen neben ermutigenden Bildern, Ausdrucken von Projekten oder Szenen, die mein Herz höher schlagen lassen und kreative Kräfte in mir wach rufen, bis sie sich regen und dehnen und irgendwann dann ihre Wurzeln schlagen hinein ins Hier und Jetzt…
So wie mein Mann das tut. Wurzeln schlagen. Er arbeitet so hart und ausdauernd an diesem Haus hier, und das, obwohl er weiss, wie sehr es mich hinauszieht, in „unser“ Bauernhaus, das ganz bestimmt irgendwo da draussen auf uns wartet, und irgendwann für uns bereit stehen wird. Obwohl er mich nach Kräften unterstützt in der Suche danach, schlägt er altes Täfer aus, demontiert schäbige, braune Küchenfronten, dort, wo eines Tages ein richtiges, grosses Bad stehen soll, schleppt zentnerweise Schutt und ausgerissene Linoleum-Platten und zaubert mir die allerschönste, schneeweisse Waschküche, die man sich nur vorstellen kann. Er bringt so viel Schönheit in dieses Haus. Weil er möchte, dass ich glücklich bin. Mich geborgen fühle, zuhause. Dass ich mich hier einnisten kann und doch so was wie Wurzeln schlage für die Zeit, die uns hier gehört…
Und „under Construction“ stehen auch meine Spinn-Künste. Obwohl das Wort „Kunst“ in diesem Fall eindeutig ein bisschen zu weit geht. Kunst ist etwas anderes, schöne, stabile Fäden, organisch geformt, lebendig, einmal etwas schmaler, einmal ein klein wenig dicker… aber ganz bestimmt nicht so wie mein Woll-Gewirr. Das ist nicht mehr organisch, sondern exzentrisch.
Aber es wird. Bestimmt. Wir arbeiten daran. Ja, wir arbeiten daran…
Vielleicht ist es mit dem Spinnen ein wenig so wie mit dem Leben selbst; Kleine Schrittchen, grössere Schrittchen, und plötzlich wird man zu schnell, verheddert sich in seiner eigenen Begeisterung, seinen Plänen und dem Wunsch, voranzukommen. Man strauchelt, stolpert, fällt hin. Und muss wieder neu ansetzen, den Faden wieder aufnehmen, eine Lektion lernen und weitergehen, in dem Tempo, das richtig ist für diesen Augenblick. Langsam. Langsam. Stetig, aber nicht überstürzt. Mit ganzer Konzentration auf das, was einem wirklich wichtig ist, mit dem Ziel im Auge, aber allen Sinnen beisammen, verankert im Augenblick.
Das Ziel ist wichtig, ganz bestimmt. Aber es ist nicht alles. All diese Projekte, so schön sie auch sind, und so sehr ich mich auch den Moment freue, wo ich sie zu einem Ende bringen werde, ich möchte niemals aus den Augen verlieren, dass all die Schritte (oder Schrittchen vielmehr) genauso zählen, die Freuden und Kämpfe, die sich mit eingeflochten haben in den ganzen Schaffens-Prozess und nicht nur mein Projekt, sondern auch mich verändert haben. Auch sie haben ihren Sinn und ihren Wert.
Das Leben ist eine Baustelle. Und ich wünsche mir, dass ich, während ich meinen Lebensfaden weiterspinne, immer wieder daran denke, dass ich nicht alles bereits von vornherein verstehen oder beherrschen muss. Sondern dass ich Zeit habe und auch den Platz, Fehler zu machen, zu lernen, zu fallen. Ich hoffe, dass ich nie vergesse, mit Freude voran zu gehen. Und dass mir immer wieder bewusst wird, dass ich in allem, was ich bin und tue, eine Lernende bleiben werde, bis ganz zum Schluss.