Vom Trödel habe ich schon geschrieben. Eben erst, und eigentlich schon oft. Davon, wie inspirierend ich alte Dinge finde und auch davon, wie gut es mir tut, danach zu stöbern. Aber etwas habe ich noch nicht erzählt. Etwas habe ich mir aufgespart; Die Geschichte der Madonna…
Denn eines Tages begegnete ich ihr nämlich. An einem heiteren, sonnigen Nachmittag, so unvermittelt, dass es mir fast den Atem raubte: Ihr, der Madonna.

Der Madonna, die meine Oma seelig damals in ihrem alten Bauernhaus in den Toggenburger Bergen in ihrem Wohnzimmer stehen hatte, der Madonna, die ich mir als Kind immer und immer wieder angesehen habe, ehrfürchtig und mit einem warmen, heimeligen Gefühl im Bauch.
Diese Madonna gehörte für mich zum Hof meiner Oma wie der Kabis zum Weihnachts-Essen, wie das lau-warme Citro zur Heu-Ernte auf dem Feld und der flimmernde, wacklige Fernseher zu jenen herrlich trägen Nachmittagen, wenn draussen Schnee lag und der Wind an den Fensterläden rüttelte.
Eine Madonna mit Pastell-farbenem Kleid und einem feingeschnittenen Mädchen-Gesicht, in dem das Lächeln nur angedeutet bleibt und so gar nicht zur Schlange passt, die sich unter ihren Füssen windet.
Ich mochte sie immer. Ich fand sie hübsch und eigenartig elfenhaft und hatte das komische Gefühl, dass sie irgendwie sonderbar herausstach in diesem ein bisschen düsteren, urchigen, alten Baunerhaus mit den vertäfelten, dunklen Wänden und dem unheimlichen Estrich voller Spinnweben, toter Fliegen und Falter.
Als kleines Mädchen habe ich mir oft gewünscht, ich könnte sie mir nach Hause nehmen, doch ich traute mich nie, danach zu fragen. Es erschien mir einfach nicht richtig. Ich meine, diese Madonna war immer da. Seit ich mich erinnern kann. Sie stand da in ihrer Vitrine, unverändert, untrennbar verbunden mit diesem alten Haus und seinen Bewohnern. Eine Zeit-Zeugin.

Als meine Oma starb, wurden ihre Sachen in alle Winde verstreut, aber nichts davon fand den Weg zu mir.
Bis an jenem heiteren, sonnigen Nachmittag, an dem ich ihr in einem düsteren, vollgepackten Brockenhaus direkt in die Arme lief… Was für ein Wiedersehen! Ich hätte weinen mögen vor Freude. Es war, als hätte mich ein längst abgeschickter Gruss endlich, endlich erreicht. Erinnerungen, die plötzlich erwachen, Bilder, die wieder auftauchen, Gesichter, die ich wieder ganz frisch vor mir sehe. Meine Oma mit ihren runden, straffen Backen, mit dem strahlenden Lächeln, das sich übers ganze Gesicht hinzog, ein Gesicht, das alterte wie ein Apfel und in runden, festen Einkerbungen so langsam kleiner wurde…


Jetzt steht die Madonna vom Trödler bei mir im lila Zimmer, meinem liebsten Zimmer im ganzen Haus. Hinter ihr hängt der ersteigerte, handgenähte Wandbehang, den ich so sehr liebe (und den ich dringendst einmal bügeln sollte *ahem*). und sie sieht genau so sanft und mädchenhaft aus wie ich sie in Erinnerung habe. Nur das Umfeld hat sich vollkommen geändert.
Ob sie eines Tages wieder in einem alten Hof auf dem Lande stehen wird? So wie damals?



Neben ihr auf dem alten Rattan-Sessel meiner Mama, liegt das Kissen, das ich mir damals aus einer alten, muffig riechenden Tapisserie genäht habe. Mit einem meiner liebsten Stoffe, seidig-feinem Voile von Anna Maria Horner für die Kissen-Rückseite mit Hotel-Verschluss.
Wollig-grob versus seidig-klar. Neu und alt. So unterschiedlich, nur schon in der Struktur, aber trotzdem fast so, als wären sie füreinander geschaffen. Allein das Blau und Geld, das sich in beiden Stoffen in fast identischen Tönen wiederholt… Wunderbar, nicht?

Es ist keine Vitrine und nicht mehr das heimelige, alte Bauernhaus mit der tiefen Decke und dem warmen Kachelofen im Wohnzimmer. Ich bin mir auch gar sicher, ob die Madonna aus dem Trödelauch wirklich diejenige aus meiner Kindheit ist (naja, eher unwahrscheinlich, oder?). Um die Wahrheit zu sagen, noch nicht einmal ganz sicher, dass meine Oma tatsächlich genau so eine Madonna besass.
Aber das spielt auch alles gar keine Rolle. Wichtig ist nur die Erinnerung, die sie mit sich gebracht hat, meine Madonna, und die mich jetzt jedes Mal, wenn ich den Raum betrete, willkommen heisst. Sie schlägt eine Brücke. Zwischen damals und heute.
Ich mag diese Ecke. Sehr sogar.