
Im Wald. Endlich. Denn wisst ihr; wenn ich ehrlich bin, dann muss ich zugeben, dass ich in diesem Jahr irgendwie alles andere als ein natur-verbundenes Leben geführt habe… Ich meine, im Frühjahr, ja da liess ich mich überglücklich und überschwänglich hineinplumpsen in die erwachende Natur, durchstreifte die Wälder, pflückte Bärlauch, sog jeden Sonnenstrahl in mich hinein, gierig und halbverhungert nach den entbehrungsreichen, düsteren Monaten der Früh-Schwangerschaft.
Mit blossen Händen grub ich all meine Gartenbeete um (ich, die ich mich sogar vor Regenwürmern fürchte!), setzte es durch, dass das Trampolin auf den Rasen verschoben wurde und ich mir ein weiteres Stückchen Garten zum Garten machen konnte, noch mit dicken Bauch und allem jätete ich mich verbissen und amitiös und voller Pläne durch den Unkraut-Dschungel…
Aber dann, naja, dann war meine Energie irgendwann am Ende. Schluss. Aus. Finito. Statt mit meinen Kindern raus in die grünen Ecken unserer Welt zu ziehen, zog ich mich zurück. Ich richtete ich mich drinnen gemütlich ein mit meinen Lieben und überliess die grossen Out-door-Abenteuer den anderen.

Wenn ich jetzt zurückblicke auf dieses Jahr -und ich denke, im Herbst, da fängt das wohl so langsam an, das die-Dinge-Revue-passieren-lassen- dann sehe ich mich und meine Familie vor allem so: dicht beisammen, warm und sicher eingenistet, wartend, empfangend, uns neu formierend.
Es war ein „Home sweet Home-Jahr“. Kuschlig, langsam, friedlich. Ein Jahr, das ganz und gar meinem Babykind gehörte. Sowohl damals, als es wurde in meinem wachsenden Bauch, als auch die letzten bald 3 Monate über, in dem es sich seinen Platz suchte im Familiengefüge und zu dem kleinen Menschlein wurde, das uns allen so vertraut geworden ist.
Ich mochte es so. Ganz genau so. Dieses unspektakuläre, faule, stubenhockerisch gelebte Jahr fühlte sich einfach richtig an.
Aber wie ich jetzt, an einem nebelverhangenen Morgen mit Babykind und Rucksack einem ganzen Rudel Kinder samt Kindergärtnerin in den Wald hinein folge, spüre ich auf einmal, wie sehr ich das alles vermisst habe. Ohne es jemals zu bemerken…

Ich fühle mich wie … aufgetaucht aus einem tiefen Brunnen, und alles scheint mit einem Schlag so viel heller und klarer, selbst die Töne und der Geruch des Feuers, das in unserer Mitte so langsam zum Leben erwacht.

Die Kinder fügen sich ganz selbstverständlich in die Landschaft ein; die einen verschwinden im Dickicht der Bäume, werden Feen und kleine Forscher, andere bleiben ums Feuer und kümmern sich mit ihrer Kindergärtnerin um die Apfelschnitze, die sie später über der Glut garen wollen. Jedes Kind findet sein Plätzchen. Reibungslos, fliessend.

Ein paar Jungens kommen plötzlich mit einer Schaufel und roten Backen bei mir an; „Schau mal, ein Schnabeltier!“
Dass das winzige, leblose Tierchen eigentlich eine Spitzmaus ist, da glauben sie mir sofort, wahrscheinlich, weil es im Grunde überhaupt keine Rolle spielt, aber dass es tot sein soll… Naja, das müssen sie zuerst noch genauer überprüfen. „Weisst du, wir legen es hier auf diesen Baumstamm, neben diese Pfütze hier. Damit es trinken kann, wenn es Durst bekommt. Vielleicht schläft es ja nur.“
Ich bin fasziniert von der Selbstverständlichkeit, mit der diese Kinder die Dinge hinterfragen. Und sich alle Antworten offen lassen.

Ein Junge steht knietief in einer grossen schlammigen Wasserlache. Er jauchzt, holt mit der Schaufel weit aus- und lässt sie aufs braune Wasser niederplatschen, dass es nur so spritzt. Dunkle Fontänen schiessen in die Höhe und prasseln ihm auf Kopf und Körper. Ich bin kurz unsicher, ob ich ihn einfach so machen lassen soll, der beschützende Mutterinstinkt in mir regt sich bereits, aber dann sehe ich seinen Regenanzug, die Gummihose, die hohen Stiefel. „Mach doch die Kapuze hoch“, rufe ich nur. Er hört mich nicht; sein Lachen übertönt meine Worte. Wie schön, denke ich. Wie schön, wenn Kinder noch so frei und von ganzem Herzen unvernünfig sein können.

Ich schlendere weiter, unter einem grünen, noch ziemlich dichten Blätterdach hindurch, die Augen weit offen, das Herz leicht wie eine Feder, während das Babykind so tief und lange schläft unter meiner Jacke wie wohl noch nie in seinem jungen Leben. Diese Luft ist Balsam. Wie alles hier irgendwie.

Dann treffe ich Kind2. Meinen Jungen mit den wilden, dicken, blonden Locken. Meinen kleinen Krauskopf. Er strahlt eine unheimliche Ruhe aus. Er, der oft so ernsthaft und antriebslos wirkt in letzter Zeit, kommt mir auf einmal ganz gelöst und zufrieden vor. „Hier hat er alles, was er braucht“, denke ich. „Wie kommt das nur?“
Er lächelt, nimmt wortlos meine Hand, und zieht mich mit sich, hinein in seine eigene kleine Welt. Ich bin gerührt. Und einmal mehr zutiefst dankbar für dieses grosse Wunder der Verwandlung, das die Natur für jeden bereit hält, der sich ihr mit offenem Herzen nähert…

Ich glaube nicht, dass ich diesen Herbst gross anders verbringen werde als den ersten halben Teil des Jahres, dazu ist der Stubenhocker in mir gerade viel zu bequem (und viel zu müde). Aber wer weiss… bald wird die Erde bunt, bald locken die Wälder fast unwiderstehlich, bald ruft mich der kräftige Herbstwind, den ich so sehr liebe… Vielleicht tausche ich dann Pantoffeln gegen Wanderschuhe…?
Alles hat seine Zeit.
Und es war wunderbar inspirierend und belebend, wieder einmal daran erinnert zu werden, was da draussen auf mich warten würde…