
Die Reaktionen auf meinen letzten Post hin, waren wunderbar; So viele schöne Kindheitserinnerungen kamen hoch bei euch und sprudelten in eure Kommentare, dass es eine wahre Freude war, sie zu lesen! Wer weiss, vielleicht möchte die eine oder andere von euch einen ganzen Memory-Post bei sich schreiben? Ich würde selber gerne mehr Geschichten aus eurer Kindheit hören…
Susanne von
„Ein Häuschen für Rapunzel“ hat mich in ihrem langen Kommentar gefragt: „Magst du noch mehr erzählen?“ Und ob ich mag! Gut, dass meine Kinder spielen und das Baby schläft, denn eben kam mir
diese Sache in den Sinn, die ich gemeinsam zwei meiner vier Brüder vor vielen, vielen Jahren erlebt habe, eine merkwürdige Sache, eine äusserst merkwürdige Sachen, man könnte fast sagen, eine
mysteröse Sache…
Wir waren noch klein, ich vielleicht sieben oder acht, meine Brüder fünf und drei, vier Jahre alt, und wieder einmal zu Besuch bei meiner Oma auf dem Lande. Wie meistens trollten wir uns nach dem Zvieri nach draussen, planlos, aber voller Entdecker-Lust. In der ungemein spährlich gesähten Nachbarschaft (vier, fünf Bauernhöfe), gab es nur wenige Kinder, aber immerhin; zwei davon, Susanne und Stefan, zwei rotbackige, kerngesunde Blondschöpfe, waren unsere Ferienfreunde, mit denen wir viel Zeit verbrachten. An jenem Wintertag also, durchstreiften wir gemeinsam die Gegend. Meine Oma wohnte in der Steigung einer durch und durch grünen Hügellandschaft, völlig „näbädussä“ (=ausserhalb), ringsum gab es eigentlich nur eine holprige Landstrasse, Bauernfelder und etwas weiter weg Wald. Und ganz zuoberst ein altes, verlottertes Bauernhaus, von dem niemand so richtig zu wissen schien, wem es gehörte. Der verschlungene Weg dorthin kam auch nicht vom Weiler meiner Oma her, sondern aus einer ganz anderen, mir unbekannten bekannten Richtung. Ich kann mich nicht erinnern, dort oben jemanls eine Menschenseele gesehen zu haben. Es war mir immer ein wenig mulmig zumute, wenn ich das grosse, dunkle Gebäude von unten her sah, doch an jenem Tag gerieten wir Kinder aus irgendeinem Grund genau dorthin. Vielleicht wollten wir uns aus Spass den leicht verschneiten Hügel herunterrollen lassen, vielleicht hatten wir auch Verstecken gespielt – jedenfalls standen wir plötzlich vor diesem Haus und blickten auf einen kleinen, überwucherten Garten. Ein Teich lag darin, vereist und dunkel wie ein Tierauge. Daneben ein hölzernes Gartenhäuschen, ein Spielhäuschen vielmehr. Über allem lag eine bedrückende Stille. Zögernd schlichen wir auf das Häuschen zu und äugten durch die staubigen, kleinen Fensterscheiben. Im Halbdunkel sahen wir alte Puppen, Teddybären, Bücher, uralt und abgenutzt und wie zerwühlt. Ich weiss noch, dass mich ein unerklärlich unbehagliches Gefühl beschlich, als ich das Spielzeug sah. Es kam mir so verloren vor… Die Tür muss abgeschlossen gewesen sein oder wir waren einfach alle zu ängstlich, jedenfalls hielt es uns nicht lange im Garten. Wir schlichen ums Haus. Kein Licht, kein Geräusch. Aber Vorhänge an den Fenstern. Es gab zwei Türen. Eine Haustüre, um die wir einen weiten Bogen machten, und eine niedere Brettertüre, wahrscheinlich zum Stall hin. Ich erinnere mich nicht mehr, wer von uns es war, doch einer von uns besass den Mut, vielmehr die Dreistigkeit, am Kettenschloss zu „gfättärlä“, das die wacklige Scheunentür zuhielt, und brachte es irgendwie zustande, dass das Schloss aufsprang. Die Tür öffnete sich ohne weiteres . Vielleicht gab es aber auch gar kein Schloss, sondern nur meine weise Kinderangst, die mich zurückhalten wollte, vor dem, was sich vielleicht hinter dieser Tür verbergen könnte…
Wie eine Herde verlaufener Schafe, betraten wir den Raum – Und blieben wie angewurzelt stehen. Denn was wir hier sahen, verschlug uns den Atem: mitten in der grossen, dunklen Scheune, auf einer Art Tribühne, stand- wir trauten unseren Augen kaum- ein riesengrosses Himmelbett, weit wie ein Trampolin, bezogen mit den allerschönsten, feinsten Kissen und Decken in den leuchtendsten Farben. Ringsum lagen Staub und Heu, doch das Bett schien wie überirdischen zu leuchten. Ich konnte kein Fenster erkennen, auch keine Lampe, das Licht wirkte, als käme es direkt vom Bett selber… Atmelos schlichen wir die Stufen hoch, fassten in die weichen Stoffe, legten uns vorsichtig hin und betrachteten voll stummen Staunens, wie die Luft um uns herum glitzerte wie glimmender Goldstaub. Es war, als wären wir eingetaucht in eine verwunschene Märchenwelt.
Doch plötzlich zerriss ein heller Kinderschrei den Zauber; mein kleiner Bruder, der irgendwo unten gestanden war, rannte wie ein Wiesel zur Türe raus. Wir alle natürlich hinterher, obwohl keiner von uns eine Ahnung hatte, weshalb. Wir rannten wie vom Teufel verfolgt, aus der Scheune, den Hügel hinab zum Haus meiner Oma und dort noch weiter bis in die warme Küche, wo meine Mama mit Oma gemütlich Kaffee trank. Erst da blieben wir stehen, holten Atem und sahen uns mit grossen Augen an.
Mein Bruder behauptete später, er hätte einen Totenkopf gesehen. Und Schritte gehört, schwere Schritte wie von Stiefeln.
Erst viele Wochen später, imfröhlichen Licht des Sommers, wagten wir uns noch ein letztes Mal nach oben zum „Geisterhaus“, wie wir es nannten. Doch als wir vorsichtig einen Blick in die Scheune warfen, fanden wir dort nichts weiter als Dunkelheit, Heu, Staub und Gerümpel. Das Bett war, mitsamt seinem seltsamen Zauberlicht, verschwunden.